Mario Scarabis, Pommersches Landesmuseum
Eröffnungsrede zur Ausstellungseröffnung von Matthias Wegehaupt
Greifswald, Neue Greifengalerie, 5. Mai 2015
Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn man in Greifswald auf kunstgeschichtlichen Spuren wandelt, stößt man neben Caspar David Friedrich bald auch auf die Persönlichkeit von Herbert Wegehaupt.
Dieser galt seit seiner Berufung zum Professor für Theorie und Praxis der künstlerischen Gestaltung an das Institut für Kunsterziehung an der Universität Greifswald im Jahr 1949, als engagierter Hochschullehrer, der darum rang, fern von doktrinären Leitvorstellungen den Studierenden zu ermöglichen, „ihr eigenes Verhältnis zur Wirklichkeit und Erleben der Welt in gestalteter Form zum Ausdruck zu bringen.“
(siehe Günther Regel)
Er selbst bewegte sich in seinem künstlerischen Schaffen zwischen gegenständlichen Darstellungen und möglichen Abstraktionsvarianten, bis hin zu Arbeiten, die ganz und gar auf den Gegenstand verzichteten.
Allerdings waren die „freien“ ungegenständlichen Arbeiten zunächst nur als Studien innerhalb der Sammlung der Greifswalder Universität zu entdecken, oder sie befanden sich in Familienbesitz.
Nach 1989 wurde auch dieser Teil des Gesamtoeuvres in die Sammlungen der Museen aufgenommen und auf Ausstellungen erstmalig vorgestellt.
Aber bereits zu Lebzeiten hatte sich herumgesprochen, dass in Greifswald die Errungenschaften der Moderne in der Lehre nicht erneut aufgegeben wurden.
Dass hier jemand wirkte, der bemüht war und dem es offensichtlich gelang, auch die künstlerischen Auffassungen seiner Bauhauslehrer Josef Albers, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Oskar Schlemmer und Lázló Moholy-Nagy aus der eigenen Dessauer Studienzeit in die gegenwärtige Lehre zu integrieren.
All dies bekam Sohn Matthias Wegehaupt während des Studiums in Greifswald und malend in Ückeritz bis zum frühen Tod des Vaters 1959 mit auf den Weg.
Nachdem die Studierenden durch genaues Beobachten, Naturstudium, Kompositionslehre und das erlernen handwerklicher Fähigkeiten innerhalb der Techniken von Zeichnung, Grafik und Malerei die Befähigung erhielten, sich künstlerisch auszudrücken, war es Hauptanliegen Herbert Wegehaupts ihnen zu vermitteln, dass das was ein Kunstwerk ausmacht, in der sichtbaren inhaltlichen Gestaltung der Form mit einem geistigen Gehalt liegt.
„Die Form als Ganzes muss zum Träger, nein, sie muss zum sichtbar gewordenen materialisierten Inhalt werden. Im Idealfalle müssen Inhalt und Form vollkommen eins werden.“
(Herbert Wegehaupt, über künstlerische Unterweisung, in: Kunsterziehung, H10/1056, S.4f.)
Diese Einleitung schicke ich voraus, weil ich diesen intellektuellen Anspruch in den Arbeiten des Sohnes Matthias Wegehaupt wiederfinde.
Weil es mir geradezu unvorstellbar erscheint, er könne nur durch äußere Form den Betrachter zu gewinnen versuchen.
Fern von den Zentren des Kunstbetriebes hat sich der Künstler dafür entschieden, sein Werk in der Abgeschiedenheit der Inselwelt Usedoms zu erarbeiten. Diese Erarbeitung darf man wörtlich verstehen, sie bezieht sich sowohl auf den praktischen als auch auf den geistigen Prozess der Entstehung seiner Werke.
Obwohl eng mit der Landschaft verbunden, ist Matthias Wegehaupt kein Maler der lokale Gegebenheiten wiedergibt.
Dennoch zeugen seine Werke von einer genauen Kenntnis der ihn umgebenden Landschaft.
Während allgemein gern Meer, Strand, Dünen, die Steilküste und der Küstenwald in ihrem charakteristischen typischen Erscheinungsbild wiedergegeben werden, sucht und findet der Maler das Besondere hinter der äußeren Erscheinung.
Er geht Spuren nach, die sich ihm vor seinem „inneren Auge“ (Caspar David Friedrich) auftun und findet allgemein gültige Aussagen über die Vergänglichkeit von Natur und Leben und damit auch von Raum und Zeit.
Die Rolle und Bedeutung des Menschen innerhalb der Natur wird kritisch hinterfragt und seine selbstempfundene Wichtigkeit verliert sich bei näherer Betrachtung.
Während der Wanderungen und Strandgänge des Künstlers wird das sinnlich Erfahrene, das Geschaute zeichnerisch festgehalten. Das Gesehen erhält eine erst Form.
Die Originalität der ersten Inspirationen für ein mögliches Bild wird eingefroren.
Dabei handelt es sich nicht um Naturstudien, wie wir sie von den Romantikern kennen, sondern um das Festhalten von interessanten Strukturen und Flächen, horizontaler oder vertikaler Linien um mögliche Kompositionsgerüste für zukünftige Werke.
Wichtig ist zunächst allein die Notiz, das Festhalten einer möglichen Bildidee, um die spätere zeitaufwendige Erarbeitung des Bildes im Atelier zu unterstützen.
Anderes bleibt im Kopf gespeichert.
Erst im Atelier entsteht aus der Verbindung zwischen dem was an Gesehenem abgespeichert wurde und dem Wissen des Künstlers ein gültiges Bild.
Wenn, wie in unserem Fall, ein Künstler ehrlich und kompromisslos seinen über Jahrzehnten erarbeiteten Grundprinzipien treu geblieben ist, kann man davon ausgehen, dass sich dieser Gewinn im Werk niederschlägt.
„Nicht die zufällig entdeckten Motive sorgen für Aufsehen hingegen ihre einfühlsame Neuordnung als Form-, Struktur- und Farbklänge.“
(Ulrich Kavka, Rede zur Ausstellungseröffnung Usedomer Maler in Wolgast, 1. Dezember 2007)
So sind gerade in den letzten beiden Jahrzehnten, wie auch diese Ausstellung zeigt, zahlreiche Arbeiten zum Thema Wald, Strand und Uferlandschaften entstanden, die fern von den Aufgeregtheiten eines hektischen und manchmal allzu beliebig erscheinenden Kunstmarktes, so wohl nur in abgeschiedener Konzentration und durch ruhiges zielstrebiges Arbeiten realisierbar waren.
Für den Künstler, der in Ückeritz unmittelbar am Rand des Waldes wohnt und dort bereits seine Kindheit verbrachte, gehört der Wald zur unmittelbaren Lebensumgebung.
Er hat dessen Tages- und Jahreszeit bedingte Wandlungen und die durch Menschenhand in Kriegs- und Friedenszeit vollbrachten Veränderungen stets miterlebt. Dies hat sich so fest in sein Gedächtnis eingegraben, dass ihm das Abbildhafte eines Waldstückes überflüssig erscheinen muss.
Oder wie es über den Maler Unsmoler in Matthias Wegehaupts Roman „Die Insel“ heißt: „Hüte dich vor allzu großer Nähe zur Natur. Stattdessen wollte er Zeichen finden, Vokabeln einer neuen Bildsprache.“
(Ullstein Verlag, 2005, S. 432/433)
So findet er dafür, wie auf dem Gemälde „Rotes Waldbild“ (2013) zu sehen, eine Komposition mit ausbalancierten harmonisch, aufeinander abgestimmten Farbflächen, die sich hinter einem unruhigem, spannend aufgebauten Liniengeflecht verbergen, während in großzügigem grünem Pinselstrich, Jackson Pollock dripping ähnlich, ein organisch scheinendes Geflecht als Symbol für ein Waldstück als bindende Form dominiert.
Anders dagegen das grüne Waldstück im Fenster, welches in seinen gezügelten, komprimierten und vom Grund her gefestigtem Raum- und Flächengefüge die Frische und Harmonie eines Frühlingstages ausstrahlt.
Schließlich findet der Wald mit all seinen unterschiedlichen Bedeutungsebenen der Natur und Kulturgeschichte, in einer Serie von gemalten Werken seinen Widerhall.
Diese Kompositionen weisen ein vielseitiges, verwirrendes Geflecht aus Streifen und Gittern auf, die sich in ihrer schablonisierten Duplizierung, einem realen Erscheinungsbild entziehen und uns stattdessen dafür ein Abstraktum anbieten, welches trotzdem als Wald wahrgenommen wird.
Trotz der ungewohnten seriellen Kompositionen und der abstrakten Formen, vervollständigen wir das Gesehene mit unserem Wissen, nehmen den Wald in seiner Gesamtheit und Wandelbarkeit wahr und erkennen die darin verborgenen Metaphern, „dieses gewaltige Kontinuum der Natur zwischen Werden und Vergehen, diese Eins-sein von Geburt und Tod.“
(Ulrich Rudolph, Bilder vom Wald, Katalog Kunstraum Testorf, 2013)