DIE ROMANE

 

Die Insel. Roman
Ulsteinverlag 2005

Der Maler Unsmoler ist auf die Insel seiner Jugend zurückgekehrt, um hier, fern von der Hauptstadt und fern von politischen Zwängen, zur künstlerischen Vollendung zu finden. Den Inselbewohnern ein Fremder, dem Inselchef und dem Mitarbeiter ein Unliebsamer, dem systemtreuen Malerehepaar von nebenan eine Mahnung, merkt er jedoch schnell, daß es kein Ort der Zuflucht gibt. Nicht geschützt vor den Machenschaften der Oberen, gerät der Einsiedler in Situationen, die die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit von Mal zu Mal vertieft. Einzig Deiphine, eine kellnernde Medizinstudentin, bringt für kurze Zeit Glück in sein Leben. In seinem Streben nach dem unbestechlichen Ausdruck gibt es für Unsmoler schließlich doch nur einen Weg: er will auf der Insel und in dem Land bleiben, weil er bei allem Widerspruch hier verwurzelt ist, aber da ist das Land schon dabei, sich aufzulösen … Ein fesselnder Roman voller Geschichten und Schicksale. Ein Abbild der letzten 40 Jahre mit einem poetischen Atem, der stand hält, ein Roman über die Leidenschaft und Kraft eines Mannes, der anders ist, über die Selbstbehauptung und Selbstfindung in stürmischen Zeiten – großartig erzählt.

Pressestimmen

NORDKURIER, 14.10.05 »Ein fesselnder Roman voller Geschichten und Schicksale. Ein Abbild der letzen 40 Jahre mit einem poetischen Atem, der stand hält, ein Roman über die Leidenschaft und Kraft eines Mannes, der anders ist, über Selbstbehauptung und Selbstfindung in stürmischen Zeiten – großartig erzählt.«

BUCHMARKT, Ulrich Faure, Januar 2006

 »Bei manchen Büchern weiß man sofort, dass sie über Jahrzehnte Bedeutung haben werden: So Matthias Wegehaupts unglaublicher 1.000 Seiten Roman Die Insel – das ultimative Werk über die verflossene DDR … Witzig, geistreich, böse – also Klasse.«

NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, Carl Corino, 10.01.06 »…in einer Prosa, die ständig, um es mit Lessing zu sagen, ‚die Grenzen der Mahlerey und Poesie‘ überschreitet…«

SCHWERINER VOLKSZEITUNG, Holger Kankel, 03.12.05»Wo bleibt der große Roman, der das Insel-Experiment DDR glaubwürdig beschreibt, ohne Larmoyanz und denunziatorische oder satirische Verfremdung? Hier ist er!« SCHWERINER VOLKSZEITUNG, Holger Kankel, 03.12.05

 

Schwarzes Schilf. Roman einer Reise

Aufbau Verlag 2012

Alle sind wir seltsame Reisende, Reisende auf der Reise ins Nichts. Sonntag hatte sich zehn Minuten Zeit gelassen, sein Büro zu räumen. Von globalen Prozessen war die Rede, von schmerzlichen Zwängen. Mit dem Aktenkoffer in der Hand driftet er durch die Stadt, steigt in einen Zug, lässt sich von seinem inneren Kompass auf die Insel führen, nach Usedom, Landschaft seiner Kindheit. In einer gemieteten Segeljacht möchte er am liebsten aus seinem Leben davontreiben. Unmerklich und im Takt der Wellen gleitet er aus der früheren Existenz, weg von den schwarzen Gedanken, überlässt sich dem Boot und der See, kämpft instinktiv um sein Leben und ahnt noch nicht, dass das Schiff seine Arche ist. Ein Roman, der die großen Fragen der modernen Existenz voll innerem Ernst und mit ruheloser Sehnsucht umkreist. „Er hatte einiges begriffen. Man schimpft nicht auf den Wind, der ist, wie er ist, man lernt es, ihn zu nutzen und den Böen zu begegnen.“

 

 

TEXTE

 

WEITE  UND  LICHT   

Rede anlässlich der Ausstellungseröffnung im Herrenhaus Libnow am 31.7.2015
 
Norddeutsche Landschaften – eine Kunstsammlung des NDR

 

WEITE  UND  LICHT, das ist das schöne Motto dieser Ausstellung.

Nein, ich werde nicht über einzelne Bilder sprechen.
Als Maler weiß ich, dass das  DAS EIGNENTLICHE  nur stören würde, nämlich unvoreingenommen zu erleben, wie sich norddeutsche Landschaft in dieser Ausstellung auf verschiedenartigste Weise zeigt.

Erlauben Sie mir also, dass ich lieber ein paar Gedanken über die Weite und das Licht, über die Landschaft und das Malen äußere.

Selbst wegbereitende Künstlergruppen, die hier im Licht den Küsten malten, hielten nur kurz zusammen, denn jeder Maler sucht sein eigenes Bild von der Welt. Nicht nur die Künstler, jeder von uns hier, lebt im Bild seiner Welt, das er durch andere Konzepte nicht in Frage gestellt wissen will.

Die Politiker, besonders jene mit diktatorischen Tendenzen, versuchten und versuchen stets dem Volk das richtige Bild von der Welt, das vermeintlich richtige Weltbild, wie es auch immer genannt wird, aufzunötigen. Gerade Künstler haben sich dem zu allen Zeiten eigensinnig widersetzt.

Künstler liefern sich mit ihrem Gespür dem jeweils Gegenwärtigen aus, denn das Bild von der Welt muss immer wieder neu gefunden werden. Es wandelt sich unentwegt, weil wir uns und unsere Welt verwandeln.
Jede neue Erfindung, jede neue Entdeckung, jede Erweiterung der Wahrnehmung, sei es im Mikro oder Makrokosmos, die Veränderung unseres Zeitempfindens, das Erkennen von bisher Unbekannten, das Verblassen von Illusionen, all das trägt dazu bei.
Nun können wir sogar, das ist ungeheuerlich, in die Vergangenheit zu den Anfängen unseres Universums blicken, in jene Zeit des Anfangs, in der alles was nun ist, bereits im ersten Moment als künftige Möglichkeit vorhanden war. Die Eigenschaft des Lichts, viel, sehr viel Zeit für seinen Weg durch die Weiten des Kosmos zu brauchen, macht diesen Blick möglich.

In der Bibel steht: UND GOTT SPRACH: ES WERDE LICHT UND ES WARD LICHT.

Immer wieder verwundert es mich, dass die Physiker vom Licht sprechen, als sei es eine objektive von uns unabhängige Realität. Nein, Licht an sich ist auch nur Finsternis. Aber die Augen von Lebewesen haben jenes wunderbare Vermögen entwickelt, einen bestimmten Bereich der elektromagnetischen Strahlung als Licht, als Helligkeit, in der die Dinge sichtbar werden, wahrzunehmen. Das Licht in der Welt ist jung, nicht älter als das Leben.

WEITE UND LICHT UND DAS WUNDER DES SEHENS.

Was soll also die Verbissenheit , mit der Künstler oftmals ihre Sicht auf die Dinge durch den Angriff auf andere Konzepte verteidigen. Wir sollten bei unserem Eifer niemals aus den Augen verlieren: Es gibt ein großes Gemeinsames all derer, die den musischen Zugang zu unserer Welt suchen.

Einfach ist es nicht, Künstler zu sein, denn jeder für sich geht seinen einsamen Weg und ist dabei doch den vielen zugehörig wie einst die Abenteurer, die sich mit ihrem Traum vom großen Finden in großen Scharen auf Goldsuche begaben. Die Mühen und Irrtümer Unzähliger sind nötig, damit plötzlich die überraschende Entdeckung Einzelner möglich wird.

Obwohl wir auf den Schultern derer, die vor uns waren, stehen, fallen wir unentwegt heraus aus der Sichtweise der Vorherigen, denn neue Herausforderungen erfordern neue Antworten.
Dort, wo die Worte, nur wenn sie zur Poesie geworden sind, hingelangen können, sind die Bilder. Das Unbewusste, nebelhaft Geahnte, zeigt sich zögernd in Bildern und tritt wortlos ins Licht.

Unproblematisch wäre es, über die Kunst der Vergangenheit zu reden, die klärende Zeit ist über dieses Feld gegangen. Gemälde von wunderbarer Reinheit gehören zu unserer Identität. Betrachten wir aber die Umstände ihres Entstehens, nehmen wir allzu häufig Tragödien wahr. Immer jedoch begegnen wir, wo es um Kunst geht, dem stolzen TROTZALLEDEM.

WEITE  UND  LICHT auch in düsteren Zeiten.

Die Landschaft, die wir bei Tag und bei Nacht, im Nebel und im gleißenden Mittagslicht, im stürmischen Gewitter und in paradiesischer Ruhe wahrnehmen, darzustellen war einst, scheint mir, nebensächlich.
In frühen Bildern biblischer Szenen, in Persischen Miniaturen, bei Porträtmalereien der Renaissance entdecken wir zauberhafte Landschaften als Hintergrund.
Aber in der Londoner Sammlung von Georg Friedrich Haendel befanden sich bereits zwei dramatische Landschaften Rembrandts und eine Stadtlandschaft Venedigs von Canaletto.
Die Landschaft war bedeutsam genug geworden für sich, als Ort unserer Existenz dargestellt, zu werden.

Manche der heutigen Künstler sagen nun: die Landschaftsmalerei ist out. Dem wäre zu widersprechen.

Traumlandschaften, phantastische Landschaften, geschundene Landschaften, symbolische Landschaften, Sehnsuchtslandschaften, visionäre Landschaften, magische Landschaften, expressive Landschaften, die brutal neue Räume schaffen und behutsame Landschaften, die Orten ihre Würde wiedergeben …man könnte die Reihe beinahe beliebig fortsetzen.
Eine Landschaft bietet stets die Chance, das Eigentliche wahrzunehmen und zu zeigen.

Die Vielfalt der Möglichkeiten wird auch in dieser Ausstellung sichtbar.

Im Pommerschen Landesmuseum Greifswald hängt eine kleine Arbeit meines Vaters Herbert Wegehaupt von 1956. Ist es nun ein abstraktes Bild oder ein Blick aus dem Fenster eines Flugzeugs? Ich erinnere mich, wie er von seinem ersten Flug fasziniert erzählte: Beglückend war die Lichtfülle und Weite über den Wolken. Dann aber für Momente riss die Wolkendecke auf und er sah die Äcker tief unten. Dort also in der Regendüsternis, leben wir, sagte er sich und er malte wieder dort unten in seinem Atelier eine Reihe kleiner Landschaften: Felder von hoch oben gesehen oder sind es abstrakte Bilder?

WEITE UND LICHT

Der schöne Titel hat etwas Vorsätzliches. Als Herr Großkopf begann, die Sammlung des NDR mit sensiblem Gespür zu erweitern, als er Ateliers aufsuchte und Bilder kaufte-es war ja kurz nach der Wende-war das nicht nur eine Ermutigung für die Künstler, sondern auch ein Zusammenführen von Werken, die in ihrer Vielfalt Weite vor Augen führen.

WEITE UND LICHT bestimmten einst weniger den Klang unserer Empfindungen. Wir kommen von der Romantik her, die zu Deutschlands dunklen Wäldern gehört.
Die unheimlichen Märchen und die Wälder mit ihrem verbergenden Dunkel und ihren geheimnisvollen Lichtungen.
Die Sehnsucht nach Licht aber ist uns in die Wiege gelegt. 
Wie wichtig wurden die Wanderungen der Maler nach Italien und später der Aufbruch zu den Küsten des Nordens, zu den Küsten unter dem großen Himmel.

Die Weite bringt aber nicht immer die Erfüllung einer Sehnsucht: In der Weite kann man sich verlieren. Und das Licht ist nicht immer wie das milde Licht des Südens, in dem Landschaften besonderen Zauber entfalten, Licht ist oft heftig wie über dem reflektierenden Wasser des Nordens: Licht kann uns blenden.

Die WEITE und das faszinierende, grelle, Götter entthronende Licht der Wissenschaft.

Ja, vor allem die Wissenschaftler stellen unentwegt das jeweils gegenwärtige Bild von der Welt in Frage. Wo sind wir noch zu Hause? Nicht einmal das intakte Dorf in seiner überschaubaren Abgeschiedenheit
 existiert noch. Jeder Winkel ist erschlossen und vom erbarmungslosen Licht erobert.
Damit wir in unserem, dem Unfassbaren Ausgeliefertsein, nicht aufschreien und die Finsternis als Versteck suchen wie kleine Kinder, die die Hände vor die Augen pressen, werden wir unentwegt abgelenkt. Wir im Taumel schöner Ablenkungen, im Griff vordergründiger Nebensächlichkeiten.
Wir nehmen unsere Not nicht wahr, denn wir sind unentwegt beschäftigt. Eine Industrie der Ablenkung hat sich unser bemächtigt. Wir haben Spaß. Wir scheinen überall zu Hause und sind es häufig nirgendwo.
Der unentwegte Zuwachs an Wissen, lässt uns wachsen wie die Schlangen, deren alte Haut plötzlich reißt und in durchsichtigen Fetzen abgestreift wird. Die Schlangen haben eine neue Haut darunter, die größer ist als die vorherige. Die ja.
Wir aber, die immer wieder Verletzten, wir, die umfassend Informierten, wir, die Hinausgeworfenen, wir zerrissen von all dem Wissen und Erkennen, sind die, deren Haut unentwegt gesprengt wird, weil die alte Hülle schon wieder zu eng geworden ist.

Die Kunst aber macht den Versuch, sie wieder ganz werden zu lassen im neuen Bild: Die neue Sicht auf die Dinge, auch auf Landschaften und uns selbst. 

Unentwegt arbeiten Bildhauer, Musiker, Maler daran, ihre Bilder von der Welt zu schaffen, die Raum haben für all das, was ihnen und uns geschah und geschieht, was entdeckt wurde und was sich zeigt.

Raum, WEITE UND LICHT

Der Maler mit Malpappe und Farbtuben, mit Pinseln und Terpentin hier in der Landschaft, geht das noch? Geht das noch nach all den raumsuchenden Experimenten in der Kunst?
Die Demut und die Bescheidenheit des Arbeitens nach der Natur, während des großen Lärmens ringsherum, ist eine Berührung mit dem Boden. Auch Antaeus musste im Kampf den Boden berühren, damit Gaia, seine Mutter, ihm erneut Kraft verleihen konnte.
Berührt vom Bild draußen in der Landschaft, fragt sich der Maler, wie entsteht die Resonanz mit dem, was da vor dir großartig sichtbar wird?
All das geschieht über das Auge. Ablesbar die Farben und Formen, ablesbar der Rhythmus und die Struktur, das Laute und das Leise, das Crescendo und Diminuendo, die Farbakkorde und die Klänge…es wird beinahe ein musikalisches Erfassen des Sichtbaren. Eine Landschaft hören.
So wie die Musik nicht Abbildung sondern eine Sprache ist, ist auch die Malerei nicht Abbildung sondern Sprache, die etwas zeigt.
Es geht darum, durch die Berührung mit dem, was sichtbar ist, die transponierte dem wachen Erleben adäquate Intensität zu schaffen.
Intensität, die durch die Möglichkeiten der malerischen Mittel zum Betrachter gelangt.

Erinnern wir uns an jene wunderbare Landschaft Caspar David Friedrichs, den Mönch am Meer, erinnern wir uns an die Landschaften Rembrandts, an die Bilder Richters, Polkes, betrachten wir die Bilder, die uns hier umgeben, immer sind die Mittel in der Tiefe gleich. Mal schiebt sich das Rhythmische, mal das Farbige, mal das Erzählerische, mal das Expressive, mal die Struktur in den Vordergrund, aber immer ist alles da. Denn jedwede Wirkung, die ein Bild erreichen kann, fußt auf den abstrakten Gesetzen der Malerei, egal wie naturalistisch, wie verwandelt oder wie gebaut, wie erfunden, wie überraschend die  Landschaft in ihrer Darstellung auch ist.
Und unter der Oberfläche von Figuren des Gegenständlichen verborgen die magischen Zeichen, die uns erreichen, ohne dass wir sie bewusst wahrnehmen.

Wir kennen es vom Hängen von Ausstellungen. Man gruppiert Bilder neben einander, die miteinander korrespondieren. Zu guter Letzt entsteht das lautlose Gespräch der Bilder untereinander. Wir gehen vorüber und manchmal werden wir als Betrachter unversehens berührt: Resonanz. Und wir schenken dem Bild unsere Aufmerksamkeit.

Bilder und ihr seltsames Geheimnis, das sich auf den Flügeln der Farbe nähert. Die Kraft, die unentwegt zu strahlen scheint, und dennoch nicht abnimmt.
Landschaften, als Orte der Welt an denen wir zu Hause sind. Der Blick auf Altbekanntes, der sich durch die Kunst unentwegt erneuert.

Paul Gauguin brach in die Weite und ins Licht der Marquesas-Inseln auf und schuf sein großartiges Werk. Dann aber, kurz vor dem Tod, entstand dort im Licht der Südsee sein letztes Bild: eine Bretonische Winterlandschaft.
Ernst Schröder, der Usedomer, malte nach dem Krieg im grauen Trümmerberlin seine herben Küstenlandschaften. Erinnerungen an die Weite und das besondere Licht des Nordens und an das Meer, in dem sein Vater als Soldat ertrank.
WEITE UND LICHT  haben eine Dimension, die in jedem Bild andere Gestalt annimmt.

WEITE UND LICHT! Das klingt manchmal so wie der ergreifende Schrei des Bedrängten in Ibsens Gespenstern: Sonne, Sonne!

Ich erinnere mich an einen Besuch im Schloss Wiepersdorf, dem Gutshof von Achim von Armin und dessen Frau, jenen bedeutenden Persönlichkeiten des 18., 19. Jahrhunderts. Inmitten von Feldern, Hütten und Wäldern der Ort des wachen Geistes und der Poesie. Um das Schloss ein gepflegter Park im Licht. Weiße Figuren standen wie Wächter  den Ort des Geistes schützend  vor dem bedrohlichen animalischen Dunkel des wuchernden Waldes.

Hier sehen wir draußen ein fernes Echo jenes Parks auf der grünen Wiese. Weiße Figuren vor den vorüber preschenden Autos.

Zu oft eilen wir blind durch die Welt, vielleicht weil wir uns gerade in Autofahrer verwandeln mussten, die sich auf die Verkehrszeichen, die Motorgeräusche und den Gegenverkehr konzentrieren. All die rasch geknipsten Licht-Bilder, die wir als Beute von den Reisen in die Weite fremder Landschaften heimbringen, bleiben eigentlich immer an der Oberfläche. Denn stets gehören die geistige Auseinandersetzung, das Wagnis und die Kraft der Gestaltung dazu, jenes Bild zu schaffen, in dem alles ist: WEITE UND LICHT UND das zuversichtliche TROTZ ALLEDEM.

Die unentwegte Bemühung um das gegenwärtige Bild von unserer Welt ist eine faszinierende Notwendigkeit, Existenziell notwendig, damit wir nicht irgendwann erschrocken erfahren:
Wir waren im Licht und waren dennoch ahnungslos in der Düsternis, wir waren in der Weite und doch in beklemmender Enge und die Finsternis gewann an Kraft.

Evviva la pittura, rief uns Otto Niemeyer Holstein, als Abschiedsgruß manchmal zu, es lebe die Malerei!
Von ihm hängt hier ein zauberhaftes Aquarell.
Ja, es lebe die Malerei, und darum danken wir dem NDR für diese Schau von Bildern, zu denen norddeutsche Landschaften den Anstoß gaben.

Copyright Matthias Wegehaupt

 

 

REFUGIUM WORTE am 19. März 2016 in der Galerie Refugium in Zinnowitz auf Usedom



Bilder sind Fährten. Zeichen des Weges, den man als Maler geht.

Aber man selbst blickt nach vorn, dorthin, wo künftige Bilder warten. Es sind die Bilder von jener Welt, in die wir uns hineinbewegen. Bilder, die sich realisieren wollen. Man will sie als Maler finden.

Wenn ich hier in der Ausstellung innehalte, gewissermaßen stehen bleibe und zurückblicke, dann ist es ein Blick voller Hochachtung zu den fernen Schatten von jenen, die vor uns waren und die in uns, die wir die Chance haben, noch lebendig zu sein, gegenwärtig sind.

Die frühe Kindheit verbrachte ich auf Usedom. Es war damals, als man weder Telefon noch Radio, oder gar ein Auto besaß, eine abgeschiedene Insel. Der Vater in Krieg und Gefangenschaft. Aber unentwegt waren Bilder von ihm, seinen Freunden und anderen prägend präsent.

An den Holzwänden der Zimmer Postkartenreproduktionen der großen Franzosen wie Matisse und Picasso. Postkarten von Rembrandtbildern, von van Goghs, Klees und die mich zutiefst erschütternden Fotoreproduktionen aus der Sixtinischen Kapelle.

Das große Bild „der Weinberg“ von Walter-Kurau, hing im Raum, in dem das Klavier von meiner Tante Ingeborg Manigk stand. Das Klavier auf dem alle Kinder der Großfamilie bei meiner Mutter Klavierunterricht bekamen. Kindliches Üben im Haus.

Aber auch großartige Musik erklang : Da war der Plattenspieler mit Stahlnadeln und Handkurbel zum Aufziehen der Feder. Die Beethovenklavierkonzerte von Arthur Schnabel und das Brahmsviolinkonzert von Kreisler gespielt, aber immerhin auch die Stimmen des schwarzen Amerikas auf Schellackplatten gepresst. Töne unserer Jugend.

Im scheinbaren Abseits die Klänge der Welt und ihre Bilder.

Die Malerin Karen Schacht wohnte in unmittelbarer Nachbarschaft. Sie hatte einst bei Hans Hofmann studiert, der 1930 in die USA ging und dort die Schule der abstrakten Expressionisten begründete, zu der auch Pollock gehört. Mich faszinierten immer schon die, in ihren frühen Bildern dominanten Strukturen, die diesen bedeutenden Lehrer ahnen lassen. Und Warhol, der große Amerikaner, wäre ohne das Bauhaus, dessen Lehren am Carnegie-institut in Pittsburgh besonders beherzigt wurden, kaum denkbar. Paul Klees Pädagogisches Skizzenbuch, war dort einer der wichtigsten Lehrtexte. Aber das Bauhaus mit seinen Lehren war auch hier auf der Insel ganz direkt präsent…mein Vater hatte am Bauhaus Dessau studiert und hatte später stets die Reinheit malerischer Mittel gelehrt. Eine Ausgabe von Klees pädagogischem Skizzenbuch schenkte er mir, als ich 16 war.

Ja, mein früh verstorbener Vater! Selbst Kandinsky besaß eine Arbeit von ihm. Wir erfuhren davon, weil sie im Musee Pompidou zu sehen war, als die Witwe Kandinskys die Sammlung ihres Mannes zeigte. Jemand, der zu DDR Zeiten nach Paris fahren durfte, erblickte die kleine Arbeit Herbert Wegehaupts dort  und erzählte uns davon.

Ja, da hatte es einst in einem kleinen schlesischen Dorf, dessen Namen es nicht mehr gibt, eine Bauernfamilie gegeben, der zwei schöne, musisch begabte Töchter geboren wurden…die eine heiratete einen Wegehaupt und wurde die Mutter meines Vaters, die andere wurde die Großmutter vom weltberühmten Sigmar Polke.

Herbert Wegehaupt, der Mann, der aus dem fernen Dorf gekommen war.

Auch in Otto Manigks Ückeritzer Atelier haben wir als Kinder gezeichnet. Der Geist dieses magischen Ortes ist mir heute noch gegenwärtig und das Malerleben von Otto Niemeyer Holstein in seinem Lüttenort spielte sich in unserer Nähe ab.

Immer war da um uns herum, allen Hindernissen zu Trotz, das Wissen von der großen Welt.

Der Wille der älteren Generation, geistig auf der Höhe der Zeit zu sein, zeigte sich auch in den vielen Briefen, die meine Mutter täglich schrieb. Auch der Kontakt zu den Freundinnen und Bekannten, die 1933 in alle Welt in die Emigration gegangen waren, riss nie ab.

Ja, ich verneige mich vor all denen, die diese kulturvolle Atmosphäre hier auf der Insel schufen und dadurch unsere Kindheit prägten.

Der dankbare Blick zurück, aber auch das große Risiko, das man eingeht, wenn man sich für den Künstlerberuf entscheidet, denn neuere Zeiten bedürfen stets des neuen Bildes.

Der elementar notwendige Versuch, es zu finden, stellt oft genug Gewohntes, Liebgewordenes in Frage.

Da kann man kaum Zuneigung erwarten.

Resonanz wird also zum einem unerwarteten Geschenk.

Wenn ich in den Jahren nach 89 in Hamburg durch die Räume der Kunsthalle ging, habe ich stets Warhols farbige Siebdrucke des Monroeporträts besucht. Sie hingen im Kellergeschoss zwischen dem alten und neuen Gebäude.

8 verschiedenfarbige, ich glaube, es waren 8, Variationen des einen Porträts. Ich begegnete der Freiheit, Intensität und Leichtigkeit.

Warhol machte bei Porträtaufträgen von einem Gesicht hunderte von Fotos, aus denen er das eine entscheidende auswählte und zum Ausgangspunkt seiner Arbeit machte.

Der moderne Siebdruck arbeitet häufig mit der Fotografie. Siebe werden zu Schablonen, die variantenreiche Vervielfältigung erlauben. Aber es gibt auch Künstler, die den ersten Schritt nicht den Apparaten überlassen. Sie zeichnen direkt auf die Siebe, oder sie schneiden SCHABLONEN. Schablonen, die eine extreme Form von Verdichtung sind, von intensiver, zeichenhaft wirkungsvoller Form.

Auch die Street art heute bedient sich oft der SCHABLONE. In allen Städten der Welt begegnen wir an Hauswänden diesem   Ein-Zeichen-Setzen.

Auch die stencil art verwendet die Schablone, denn sie ermöglichen durch die Vervielfältigungen einzelner Elemente die Findung eindringlicher Strukturen.

In den siebziger Jahren benutzte ich kleine stempelartige Holzschnitte wie Schablonen.

Ich stempelte zum Beispiel das Zeichen eines, in extremer Enge und unnatürlicher Lage gekäfigten Hähnchens, auf großen Blättern nebeneinander. Die Batteriehaltung. Jeder Betrachter verstand dieses Zeichen auch im übertragenen Sinne, jeder verstand die Botschaft.

Die in engen Käfigen Gehaltenen.

Diese Hähnchen hatten hier in gebratenem Zustand den Namen Broiler. Selbst in der DDR wusste man bei den Verantwortlichen offenbar, dass alles, was einen amerikanisch klingenden Namen trägt, in Deutschland schmackhafter wird. Diese Broiler gab es auch bei Vereidigungen der NVA Soldaten, daher trugen sie auch den Spottnamen „Gummiadler“.

Ach ja, der Deutsche Adler! Der, der da als Zeichen im Reichstagsgebäude über den Rednern prangt, wird spöttisch fette Henne genannt, oder gar Suppenhuhn, das Adler spielt.

Doch noch ein paar Worte zu dem, was hier hängt:
Ich benutze also seit vielen Jahrzehnten in der Malerei geschnittene Schablonen. Ich trenne oftmals den Vorgang des Zeichnens vom Vorgang des Malens.

Ich zeichne suchend auf dem Papier, um dann in guten Minuten die Mühseligkeit vergessend mit dem Messer aus dem Gewirr der Striche eine eindeutige Kontur zu schneiden. Ich denke währenddessen nur noch an den Klang der Form.

Dann liegt die Schablone benutzbar vor mir. Verwendbar wie im Siebdruck. Das Schablonieren als Mittel. Die Vervielfältigung innerhalb eines Bildes und die Resonanz des Ähnlichen sind mir willkommen. Denn mich interessierte von je her das seltsame Wesen Gruppe. Das schöne, gefährliche, große, bedrohliche, schützende, starke, unberechenbare Wesen.

Selbst in das Alltagsleben hinein beschäftigte mich diese Obsession. Ich hielt Bienen und blickte beim Werkeln an den Bienenbeuten fasziniert in das Gewimmel der Unzähligen. Ich hielt Gänse, Hühner, ich hielt Schafe…das Wesen der Schar erfassen, das Wesen der Herde. Wie nah ist da die Frage nach dem Wesen der Horde.

Schilf, Wald, Meereswellen, Fährten, Menschen in der Gruppe. Immer ist es die Summierung von Einzelnem, das als Teil von etwas Größerem zu Neuem wird.

Struktur der Menge. Die Intelligenz des Blumenmeeres.

Zeichen gegenwärtiger und künftiger Zustände.

Die vielfältige Verwendung der Schablonen auf ein und derselben Bildfläche ergibt sich, was Figürliches anbetrifft, in meiner Arbeit also durch die Herausforderungen ähnlich gelagerter Sujets.

Das vervielfältigte Ähnliche, das sich durch Variationen, Überlagerungen, Spiegelungen im Bild verbirgt und dennoch im Rhythmus desselben zu ahnen ist.

Es ist gewissermaßen die Kombination von pattern art und stencil art auf den Bildflächen der Malerei und immer sind es Serien, die mich eine Zeitlang beschäftigen: Etwas Durchspielen. Etwas durchdenken. Etwas ausschöpfen.

Leben auf einer Insel und die Fragen der Zeit? Nein, wir standen und stehen nicht mit dem Rücken an der Wand, sondern mit dem Rücken zum Meer, der anderen Weite. Wir hockten und hocken nicht wie die Hühnchen und Hähnchen erwartungsvoll im Käfig.

Ich sprach von Warhol…natürlich wussten wir von ihm auch schon zu DDR-Zeiten. Wir wussten auch von Pollock, wir kannten Grieshaber, wir kannten diese Antworten von anderswo. Wir lasen die Bücher der Großen dieser Welt und hörten Musik und Nachrichten. Alles gelangte als Kunde, wenn auch auf seltsamen Wegen, und manchmal bruchstückhaft, zu uns.

Alles war da. Sogar in der Kasernenenge von 1972. Da wurde mir ein Briefwechsel mit dem Maler Penck wichtig. Bunte Malerbriefe gingen hin und her. Briefe immer griffbereit in den Schäften der Stiefel. Freie furchtlose Worte. Er hatte damals die Stand art, es sollte nach Standarte klingen, im dumpfen ziemlich beengten Dresden erfunden.

Alles ist zugegen auf Inseln und in bedrängenden Städten.

Geist ist grenzenlos.

 

Rede zur Eröffnung der 8. Ückeritzer Kunstausstellung am 17. September 2023
Eine Rede, die Matthias Wegehaupt und seine Tochter Julia gemeinsam entwickelten und die von Julia gehalten wurde.

1999 / 2000 hielt sich mein Vater, Dank einer Einladung, in der Villa Massimo in Rom auf. Dort wird den eingeladenen Künstlern Wohnung und Atelier zur Verfügung gestellt und sie können dort eine Zeitlang leben und arbeiten. Er erzählte mir, dass er gleich am ersten Tag seines Aufenthaltes das Kunstwerk eines Kollegen beschädigte.

Hier der Hintergrund dazu:
 Rom ist ja bekanntlich weit weg und Matthias Wegehaupt mit dem Zug unterwegs. Natürlich hatte er seine Malutensilien nicht allesamt im Gepäck. Er brauchte noch ein Reißbrett und machte sich, da er vom Umbau und der Entrümpelung einiger Gebäude auf dem Gelände der Villa Massimo erfahren hatte, auf den Weg, um irgendwo eine geeignete Unterlage für seine Papierbögen aufzutreiben. 
Und richtig, im wunderbaren, mit einer hohen Mauer umfriedeten Anwesen der Villa, fand er einen großen Raum, in dem Gerümpel zusammengestellt worden war. 
Er inspizierte den Haufen in der Mitte des Saals, zog eine geeignete Sperrholztafel hervor und trug sie in sein nobles Atelier. 
Wenig später klingelte das Telefon: Herr Wegehaupt, Sie haben das Kunstwerk eines Kollegen beschädigt. Objekte-Bauen war in jener Zeit in der Kunstszene aktuell und oft gab es die Frage des Reinigungspersonals: Ist das Kunst? Oder kann das weg?
 
Groß ist eben die Spanne des in der Kunst möglichen.

Wenn wir hier, in der Umgebung des Dorfes durch die Felder wandern, erleben wir oft die Schönheit gepflügter Äcker, die weitläufige Ordnung von Reihen aufgehender Saat. 
Wir begegnen der Schönheit von Strukturen bearbeiteter Landschaft. 
Es gibt eine Kunstform, die Landart. 
Ein Akteur zieht – zum Beispiel in irgendeiner Wüste – eine lange Furche, und für ihn, den Städter, ist das eine Aktion, etwas ganz Besonderes, ein Ereignis, die Furche – ein Kunstwerk. 

Dort in Rom brachte der Maler Matthias Wegehaupt brav sein Reißbrett zurück, und die Sperrholztafel ordnete sich wieder ein, in das Werk des anderen und beide Künstler kamen miteinander in ein gutes Gespräch. 
So ist es nun mal: Kunst erobert sich unentwegt neue Bereiche, und verschiedenste Formen des Bildes von der Welt werden erprobt und sind nebeneinander möglich.

Und es gab eine Ausstellungseröffnung des Kollegen dort in Rom. 
Mit Sektgläsern in den Händen umkreisten Kunstinteressierte und Kunstwissenschaftler ein wenig ratlos den Gerümpelberg.
Matthias Wegehaupt, unser Maler hier, aber wurde von etwas ganz anderem gefesselt: 
Er schaute nach oben. 
Unter der Decke des noblen Raumes schienen Bilder zu hängen:
Gerahmte Gitterstrukturen die Geheimnisvolles zu verbergen schienen. 
Es waren die Abdeckungen von Öffnungen einer alten Klimaanlage. 
Das Davor und das Geheimnis dahinter. 
Darum geht es eben auch: etwas neu als Bild erleben.  

Die Welt also in anderer Weise wahrnehmen, denn die Gewöhnung an Übliches macht das Auge müde. Man wird gewohnheitsblind, sagt man. 
Eine neue Sicht ist das, wohin man aufmerksam blickt. 
Das Ungewohnte ist das, was unser Bild von der Welt erweitert. 
Eine neue Sicht irritiert vielleicht oder befremdet. 
Aber es geht nicht nur um das erfreuliche Bild, die schöne Erinnerung – das kann die Fotografie auch leisten, und das in immer perfekterer Weise – es geht um das, was sich im Bild über das Abbildhafte hinaus zeigt.  

In der Kunst ist alles – obwohl oft völlig gegensätzlich – miteinander verwandt. 
Bilder ähneln Musik – Musik Gedichten – Gedichte Bildern: 
Es geht immer um Rhythmus, um Struktur, um Farbklänge, um die Ordnung einer Melodie, um eine Erfindung, um ein Ereignis für die Sinne – und dieses unbenennbare Darüberhinaus.

Dort drüben an der Wand sehe ich das Bild der Läufer – mein Vater sagt:

Nach Jahren der Dominanz der abstrakten Kunst, hat sich die gegenstandslose, ungegenständliche Malerei – die zweifellos großartige Entdeckungen brachte und die wieder an die reine Sprache der Kunst erinnert hatte – erschöpft. 
Die Dinge und Menschen kehren auf die Bildfläche zurück. 
Das ist bedeutsam. Denn in unserer sich so rasant wandelnden Umwelt, in all dem geistlosen Wuchern der künstlichen Intelligenz, bedarf es der Gegenwärtigkeit von Kunst, die dabei hilft, entstehende Risse und gefährliche Lücken unseres Bewusstseins zu schließen.

Hier an den Wänden könnten die Läufer in grenzenloser Landschaft, Metapher für unser Herumirren in der Welt sein, vielleicht sogar Zeichen von Heimatlosigkeit. 
Die Golferinnen unter abendlichen Himmeln sind ein Bild vom Spiel, während es ringsherum Nacht wird. 
Dort sehen Sie die Wogen, in denen sich Schwimmer behaupten, 
oder hier das Bild von Kitesurfern – vom Tanzen im Sturm. 
Epische Bilder. 
Das Thema, das zurückkommt in die Malerei und ihr neuen Sinn gibt, zeigt sich.

Die Verwandlung ist dem Maler notwendiger Prozess. 
Verwandlung, die etwas verdeutlicht – deutlicher macht -, denn der Abstand zwischen der sichtbaren Oberfläche der Welt und ihrer Darstellung im Bild erinnert an die Rätsel unseres Daseins. 

Die waagerechten Bildstrukturen mancher seiner Bilder sind Raum schaffende Elemente. 
Das, was er aus Rom in sein Atelier brachte: Das Davor und das Dahinter. 
Das, was uns von etwas trennt und darüber hinaus dem Betrachter sagt: Dies hier sind nicht kopierte Oberflächen der Natur, sondern es ist ein Bild. 

Da sind die Gitter in unserer Welt, welche es zu durchdringen gilt.  

Der Bauer, der Fischer, der Schmied, der Arzt, die Architekten, die Tischler und die Maler. 
Künstler, ein Beruf wie jeder andere: sich ein Leben lang einer Aufgabe widmen.

Die Malerei hier auf der Insel hat ihre Tradition. Tradition ist etwas Wertvolles. 
Da waren in der Waldstraße die Väter der jüngeren – nun schon so betagten – Maler, die Künstler Herbert Wegehaupt und Otto Manigk und die Malerin Karen Schacht. 
Sie brachten in den Dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts etwas von der weiten Welt in das Dörfliche. Sie hatten in Rom, Dessau, Breslau, Paris und Berlin studiert und gearbeitet.

Das Ländliche wurde ihnen als Gegensatz zum Geist der Großstädte für ihre Malerei wichtig. 
Hier auf der Insel schnitt man den Roggen noch wie seit undenklichen Zeiten mit der Sense und bearbeitete die Äcker mit dem Pferd vor Pflug und Egge, hier ruderte man zum Fischen aufs Meer hinaus und holte die Kühe abends zum Melken von den Wiesen. 
Das Klingen aus der Schmiede klang durchs Dorf und die Häuser und Scheunen waren mit Schilf, das immernoch am Achterwasser wächst, gedeckt. 
Es gab noch eine Mühle und alle Gewerke, die ein Dorf so brauchte. 
Archaische Tätigkeiten in großartiger Landschaft. 
Verlässliche Gewissheiten in turbulenten, gefährlichen Zeiten.

Aber dort, in der Waldstraße, „der Mückeneck“ wie man sagte, hatte eben auch die Weltkunst mit diesen ersten Künstlern, in den schwierigen Zeiten der Dreißiger Jahre und den Zeiten des Krieges bis hin zu deren Einberufung, eine Zuflucht und einen Rückzugsort gefunden. 
1945, nach dem Zusammenbruch, brachten die Frauen der Maler den Schulunterricht hier im Dorf wieder in Gang und Frau Wegehaupt leitete einen vielstimmigen Dorfchor. Man hatte Hunger, aber eben auch Hunger nach Bildung und Kultur.

Von der schöpferischen Atmosphäre der Elternhäuser profitierten die Söhne Oskar Manigk und  Matthias Wegehaupt. Beide kehrten sie nach ihrem Studium in Greifswald und Berlin in das Dorf zurück.

Bilder in Ückeritz, eine Ausstellung in Ückeritz, das längst sein Gesicht gewandelt hat, ein Ückeritz, das sich auf Urlauber einstellt. Fremde, die sich hier erholen. Aber unter diesen Gästen ist so mancher, der dieses alte schöne Dorf, mit seiner ursprünglichen Struktur, erahnt. 
Das Dorf, das einst zwischen Achterwasser und Ostsee wuchs und die Jahrhunderte überdauerte und vielen Generationen Heimat sein konnte – auch Künstlern und Kunst.

Die unentwegten Ablenkungen des Alltags lassen uns viel zu selten zur Besinnung kommen. 
Zur Ruhe kommen vor Bildern: die andere Formulierung des Gewohnten in der Malerei, die so vieles offen lässt, wahrnehmen. 
Zur Ruhe kommen und die übliche Sicht für Momente in Frage stellen, denn die Bilder der anderen sind der bescheidene Beitrag zur Verdeutlichung des vielgestaltigen Bildes, das wir uns von unserer Welt machen. 

Malerei meint eben nicht nur das Dekorative, nicht nur die Attraktion im Rahmen, nicht die erfreuliche Urlaubserinnerung, nicht nur die schöne Oberfläche, nicht das boomende Geschäft, nicht nur die Resonanz mit anderswo, sondern die notwendige Beschäftigung mit uns selbst.

Malerei an den Wänden, das leise wortlose Sagen.