Ulrich Rudolph – Kunstwissenschaftler
Texte des Katalogs Bilder vom Wald
zur Ausstellung Frühe Plastik – neue Bilder 2013 im Kunstraum Testorf
MATTHIAS WEGEHAUPT und seine KUNSTARBEIT – „eine schöne Arbeit!“
Um gestern wie heute Maler zu sein, genügt es, das Sichtbare mit dem Gewussten zu verbinden, auf untrüglich seltsame, eben eigene Art; in der Regel genügen hierzu ein kleines Stück Erde (vielleicht auch Wasser drumherum) und ein großer innerer Horizont. Bei Matthias Wegehaupt offenbart sich genau dies. Und: Aus diesem eigenen Mikro-Kosmos von Gefühl und Verstand werden viereckige Gegenstände gezaubert, die für die meisten Ahnungslosen voller Geheimnisse sind, die aber dann zu den Glücklichen zählen, wenn sie im Unbewussten wundersamen Gewinn verspüren, also gefühlten Reichtum verbuchen können, der über das profan Reale das Erhabene setzt: Ästhetischer Gewinn als notwendiger Dienst des Künstlers am Dasein des Menschen.
Die Natur, alle Materie in der Wandelbarkeit ihrer Erscheinungen, einschließlich der lebendigen samt Mensch, ist voller Gestalt und Gestalten – es liegt am Künstler, ihrer chaotischen Seele die Ordnung zu entreißen und sichtbar zu machen, damit Menschen oder zumindest er selbst, besser in ihr leben können. Hierin ist er dem Wissenschaftler verwandt – der eine will alles sehen und neu gestalten, der andere alles wissen und verbreiten… .
Nichts trifft dieses malende Verhältnis eines Menschen zur Welt deutlicher als die folgenden Worte Matthias Wegehaupts am Schluss seiner insgesamt wundervollen Rede zur Eröffnung einer Ausstellung Oskar Manigks:
„Verwandelt bleibt Vergangenes in der Welt.
Wie könnten wir sonst als Menschen leben.“
Die für mich ohne Übertreibung schönsten zwei Sätze über Kunst, die ich je gelesen hatte! Das war heute vor 12 Jahren, und damals wusste ich noch nicht, dass er bereits lange Zeit vorher heimlich einen Roman geschrieben hatte.
Die Insel erschien dann 2005 bei Ullstein, gefolgt 2012 vom Zweitling Schwarzes Schilf bei Aufbau. Dass nun also mein Freund der Maler auch noch Schriftsteller geworden war, hat mich, ehrlich gesagt, nicht besonders überrascht – hatte ich ja schon den einen oder anderen Satz von ihm gelesen oder gehört, und Bücher sind ja auch irgendwie viereckig… .
Genauso wie in seinen Bildern erkennt man in der Sprache seiner Romane den hingebungsvollen, genauen Beobachter, trefflich beschreibend und erhöhend, aber nun auch analytisch, ironisch bis sarkastisch und in jedem Falle kritisch gegenüber der Zeit. Malerei kann eben nicht alles und sollte auch nicht alles wollen – das hatte Matthias Wegehaupt ohnehin längst erkannt.
Und so ist er im unermüdlichen Bemühen um den wahrhaftigen Ausdruck seiner sinnlichen und geistigen Beziehung zur Welt in beiden Metiers ein ganz Großer geworden – als bildender Künstler und als Dichter. Dabei ist er nur einer, der seine Zeit und seine Fähigkeiten wirklich nutzt, und für den jede Stunde zählt. Wenn er draußen geht und steht, schaut und zeichnet er, es werden dabei auch Worte gefunden; drinnen wird gemalt an größer werdenden Formaten auf Papier und Leinwand – jedes Thema verlangt nach zahlreichen Versuchen und Lösungen. Und wenn er dies alles gerade nicht tut, schreibt er eben. Es ist oder scheint ein Leben so ganz für die Kunst, von morgens bis abends, wie das Licht kommt und geht und länger. Und es ist ein Wunder: Für Muse ist Platz, für Zuhören, gutes Reden und Schweigen auch. Für Müßiggang natürlich kein Quäntchen.
Blickt man in den letzten Jahren und in der unmittelbaren Gegenwart auf seine Bilder, ist überdies noch ein steter Zuwachs an Intensität des Arbeitens und der Ausstrahlung der Ergebnisse unübersehbar. Das ist mit 75 bei disziplinierten Künstlern kein Wunder – aber allemal wohl doch ein Füllhorn guter Aussichten (und nun auch noch auf Bücher!).
MATTHIAS WEGEHAUPT und seine MALEREI
Dieser Maler bzw. seine Werke lassen sich schon immer nicht nur aus der Anschauung heraus mit einem wie auch immer gearteten „geografischen Kolorit“ in Verbindung bringen oder gar auf ein solches reduzieren, wie das vielleicht durchaus für andere auf der Insel ansässige Maler der Fall ist. Obwohl gerade Matthias Wegehaupt alles Gesehene und Erlebte aus der Anschaulichkeit seiner Heimat hervorholt und für seine Malerei unverzichtbar nutzt!
Sehr konzentriert und mit bedachtsamer Ruhe, wie es scheint, hat er besonders in den letzten 20 Jahren so an seiner sehr eigenen Bildwelt gearbeitet, dass sie nicht mehr zu übersehen war. Das Auffälligste für mich dabei: Die Klarheit, fast Präzision seiner formalen Mittel – die Streifen und Gitter, die schablonisierte Duplizierung, Umkehrung oder anderweitige Wiederholung seiner Gegenstände in einem Bilde erweisen sich gleichzeitig als didaktische, die das Wesen seiner Absichten zu entschleiern imstande sind. Jenes liegt in der Kultivierung seiner eigenen Wahrnehmungsfähigkeit, dem daraus gezogene Gewinn, nicht nur das Gesehene, sondern auch das nur Gewusste wie das denkbar Mögliche der Erscheinung des Realen als Abstraktum vollständig in die Fläche zu projizieren, bzw. in mehreren solchen übereinander zu legen.
Der Rückzug des Abbildhaften, wie er eine Folge von Zeichnungen wohl programmatisch einmal nannte, vollzieht sich ähnlich wie das bewusste Hängenlassen eines nicht ganz undurchsichtigen Theatervorhangs bei laufendem Stück. Und am spannendsten wird es dann, wenn plötzlich der eine oder andere „Akteur“ oder Requisiten sowohl davor als auch dahinter „agieren“ und das noch gleich-zeitig – am Ende bleibt der verdutzte Zuschauer verunsichert zurück:
Geschah das Wichtige nun dahinter oder davor, oder war es der „Vorhang“ selber, der wichtig war? Ich finde natürlich in letzterem das eigentlich Faszinierende, weil er das wunderbare Mittel ist, welches der Maler sich gegeben hat, um Bild, Fläche und Wahrnehmung und vor allem die für ihn unverzichtbaren Gegenstände der Anschauung neu zu definieren, jene im malerischen Sinne zu nutzen und ihnen gleichwohl zu entsagen. Die fast heitere Gelassenheit, mit der Matthias Wege-haupt seinen Figuren, Landschaften und profaneren Objekten begegnet und diese sich für seine farbig wohlorganisierten Bildräume dienstbar macht, findet sich wieder im subtilen Genuss, zu dem selbst ein ungeübter Betrachter, wie an die Hand genommen, sich hingeführt fühlt. So hoffe ich doch.
MATTHIAS WEGEHAUPT und seine neuesten Bilder – die Bilder vom WALD
Matthias Wegehaupt spürt in seinen Bildern vom Wald sichtlich und mit großer Leidenschaft, was die enorme Anzahl innerhalb weniger Monate geschaffener Arbeiten zum Thema belegt, der diesem naturhaft innewohnenden symbolhaften Ausdrucks- und Wirkungskraft nach. Allein seine rein sinnlich erlebbare Vielschichtigkeit im Wechsel von Jahres- und Tageszeiten, von Licht und Witterung vermag für eine künstlerische Seele als Lebensaufgabe unbestimmter Zeit erwachsen – eine Herausforderung jenseits von schummriger Romantik ist sie allemal.
Wie sehr es den Maler gepackt hat, der immerhin seit Jahrzehnten mitten im Usedomer Küstenwald lebt, diesem endlich „beizukommen”, anders als eben nur hindurchlaufend zu Wasser und Licht, war während des Atelierbesuches in Vorbereitung meiner Geburtstagsausstellung für ihn schon nach wenigen Minuten Bildersichtung schlaglichtartig klar: Auch der Geist des Waldes drängt nach adäquater Beschäftigung in die Gedanken des Wanderers und Zeichensetzungen des Malers – unmöglich zwar, die eine Metapher für diese die Erde zusammenhaltende Kraft als Raum alles Lebendigen jenseits des Wassers zu finden – aber da nirgends sonst so intensiv dieses gewaltige Kontinuum der Natur zwischen Werden und Vergehen, dieses Eins-Sein von Geburt und Tod zu beobachten, nein besser – mit allen Sinnen wahrgenommen werden kann, erscheint es wohl geradezu als Pflicht jedes wie ein Maler oder Dichter denkenden und fühlenden Menschen, dieses Wunder zu feiern: Ihm gleich einer Gottheit Ikonen zu verehren – Sinnbilder aus Farben und Linien, Worten auch.
Und da hier alles möglich ist zwischen schwarz und weiß, zartesten Nuancen oder reinsten Kontrasten, horizontal wie vertikal und diagonal u.s.w., oder anders gesagt – zwischen Lyrik und Drama bis hin zur Tragödie – kann oder muss damit auch kein Ende sein! Genau das ist an den bisher zu diesem Thema durch Matthias Wegehaupt erarbeiteten Bildern zu erkennen – die vielen, von Woche zu Woche fast neu erscheinenden Ansätze, die wie in einem Baum jeweils zu unzähligen Verästelungen treiben – Wachstum scheinbar ohne Grenzen. Daraus ist schon heute weit mehr als nur eine Personalausstellung zu machen. Diese mache ich aber nun gerade deshalb trotzdem, auch wenn bereits jetzt schon bei weitem ein Kunstraum nicht reicht, alles zu zeigen. Und auch diesen Katalog, der nur eben diese Waldbilder abbildet – die meisten der bis dato entstandenen.
Ob ich allerdings zu hoffen wagen soll, dass dieses Thema für den Maler als tatsächliche Lebensaufgabe der nächsten Dezennien sich breitmacht, weiß ich so recht nicht. Es könnte ihm ja vielleicht auch zu „langweilig“ werden, und da nützte denn auch meine sichere Überzeugung nichts, dass ihm da immer und immer wieder noch Steigerungsmöglichkeiten einfallen und gelingen würden, weil der Wald das eben einerseits so birgt und der Künstler andererseits für mich den dazu passenden Charakter und die entsprechenden Fähigkeiten aufweist.
Zugegebenermaßen bin ich aber egoistisch – natürlich will ich nur meine eigene Begeisterung am schon Gesehenem an immer wieder neuen Bildern weiter schüren, und natürlich liebe ich nicht nur die, sondern ich liebe auch den Wald! Und so träume ich halt davon, dass er immer wieder Bilder vom Wald malt, ich ihm dafür irgendwann ein Museum baue (oder andere das tun), und dass er gleichzeitig den einen oder anderen Roman oder Erzählungen schreibt, dafür dann und für seine Bilder von vielen geliebt wird – und den Nobelpreis bekommt. Wieso eigentlich nicht?
INSEL, KÜNSTLER UND GESCHICHTE
Die Landschaft an und unterhalb der Ostseeküste ist durchaus und schon seit langem eine für die deutschen Verhältnisse wichtige Zuflucht und Heimstatt für nach Selbständigkeit und Unangefochtenheit in der Arbeit drängende Künstler, weil dort einfach Platz war und noch ist, auch für Abstand von allerlei Unerträglichkeiten. Die allermeisten dieser hier relativ zahlreich lebenden „Sonderlinge” sind eben nicht zufällig hier aufgewachsen, sondern bewusst zugewandert, wie Otto Niemeyer-Holstein, die Manigks und Wegehaupts schon in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und andere später auf die Insel Usedom. Bedeutend für die Gegenwart ist der Umstand, dass die Kinder geblieben sind und, wie Matthias Wegehaupt und Oskar Manigk, längst gelernt haben, an den Wassern, der Behausung, im Wald oder anderswo die Zeichen für zeitlos schöne Malerei zu entdecken und zu setzen – große Malerei und Kultur, wie die ihrer Väter, nur anders eben… .
Herbert Wegehaupt, der Vater des einen, lehrte als Maler-Professor in Greifswald, während der Vater des anderen, Otto Manigk, nebenan auf der Insel mit Kollegen Niemeyer-Holstein malend dieselbe Fahne einer an Anschauung, innerer Ordnung und der „Würde des Lebendigen“¹ orientierten „reinen“ Malerei hochhielt – und das in schwierigen Zeiten übler Debatten und Denunziationen im ostdeutschen Kulturbetrieb der 50er Jahre und auch danach. Es gab dort oben im Nordosten also eine Art Leuchtturm, der seinerzeit ins ganze Land strahlte, was er wohl auch deswegen konnte, weil er so weit weg von der Hauptstadt war, um von den Oberaufpassern übersehen und nicht ausgepustet zu werden. Ich erinnere das auch aus meinem Berliner Blickfeld der 70er und 80er Jahre, dass dort eben Positionen wachgehalten wurden, die mir und vielen anderen sympathisch waren und sind – die ins Zentrum ihrer künstlerischen Bemühungen die subjektive Übersetzung des beständigen Gegenüber zur unmittelbar sinnlich erfahrbaren Umwelt stellten, und dabei alles plakativ Politische ablehnten.
Herbert Wegehaupt, der einer der verdienstvollsten und wahrscheinlich beliebtesten Kunstlehrer an ostdeutschen Hochschulen war, formulierte dies kurze Zeit vor seinem Tode, vor dem Hintergrund der seinerzeitigen Auseinandersetzungen, folgendermaßen:
„Der Inhalt der Kunst muss von der ganzen Persönlichkeit des Malers erlebt und erfahren werden. Einwirkungen…sind letztlich möglich nur durch das Herbeiführen und Begünstigen von Lebens- und Welterfahrungen, nicht durch Dekrete, durch von außen herangetragene Aufträge oder gar durch pauschale Kritik von schneidender Kälte“.²
Leider starb Herbert Wegehaupt sehr früh bereits 1959, und er wie Otto Manigk (gest. 1972) wurden lange Zeit und weitestgehend totgeschwiegen, wie die Nichteintragung ihrer Namen im seit 1975 in der DDR erschienen „Lexikon der Kunst“ schmachvoll bewies. Und so ist es mir auch deswegen und als Kunsthistoriker nicht erst heute geradezu eine Genugtuung, das Treiben der beiden Söhne als Maler zu beobachten und festzustellen, dass sie sich in einer sehr leisen, zurückhaltenden Art und über das naturgemäß nie leichte Erbe solcher Väter hinweg, und im Formalen völlig eigenständig und unvergleichlich sowieso, als Künstlerpersönlichkeiten mit immer neuen Bildern unübersehbar – und erstrangig für mich – in der wahrnehmungsfähigen Öffentlichkeit etablierten.
Von einer speziell stilistisch oder mehr durch bestimmte Grundhaltungen geprägten, besonderen Inselkunst zu sprechen, wenn man Usedom meint, hat kunsthistorisch insoweit Berechtigung, weil die drei Malerfreunde Otto Niemeyer-Holstein, Otto Manigk und Herbert Wegehaupt, die sie solche vor mehr als 80 Jahren wurden, bis in die 50er Jahre als „Usedomer Malschule“ galten, ohne indes als irgendwie programmatische Gruppe verstanden werden wollten oder gar auftraten. Zu diesem Kleeblatt zählte allerdings bis 1953 auch noch die Malerin Karen Schacht (1900 – 1987), über die Matthias Wegehaupt sich erinnernd einmal schrieb: „Wie musste es sie erschrecken, wenn die Zeitungen verkündeten, dass es auf Dauer niemandem gelingen würde, sich mit Landschaften, Porträts, Stilleben und Akten an der Geschichte vorbeizumogeln“.³ Die so zarte, sensible ging, wie wir wissen wohl auch deshalb zurück nach Berlin (West).
Auch wissen wir, dass andere auf der Insel ganz oder zeitweise ihr Domizil fanden, hinzukamen oder heranwuchsen – eine Usedomer Kunstlandschaft also tatsächlich genauso unübersehbar geworden ist wie die der Natur.
Ulrich Rudolph, April 2013