Ulrich Kavka, Kunstwissenschaftler und Autor

Rede zur Ausstellungseröffnung Usedomer Maler
im Museum Wolgast, 1. Dezember 2007



 

„Die Bilder kommen auf einen zu”, erzählt der Maler Matthias Wegehaupt nach einem seiner obligaten Strandgänge und lenkt so die Aufmerksamkeit auf das unendliche Bestands- und Veränderungsreservoire von Natur und menschlichem Dasein. Sich deren Verwandlungen im Rhythmus der Tag- und Jahreszeiten vorbehaltlos zu öffnen, heißt ja auch, ein in sich Aufnehmen zum eigenen wundersamen und merkwürdigen Erkennen. Vidi – ich habe gesehen! Und im Wortsinn sind die Räume zwischen Himmel, Meer, Ufer, Stand und Küste für den Maler geheimnisvolle Schauplätze, unerschöpfliche Fundorte und grenzenlose Freilandspeicher für die sinnlichen, materiellen und sozialen Grundstoffe, aus denen er die Eigenart seines künstlerischen Ausdrucks formt.

Was ihn antreibt ist sein Programm. Wie schon erwähnt, sind Himmel, Meer, Ufer, Strand und Küste sozusagen merkwürdige Kulissenräume für merkwürdiges Handeln von Menschen. Die Ereignisse verlaufen gleichsam saisonal. Der Einzelne in der Menge, in Augenschein genommen unter anderem auch aus dem Blickfeld der Götter. In den Phasen der Ruhe bestimmt, wie könnte es anders sein, die Natur den Rhythmus. Also ist dieses umlaufende Stück Insel hochkarätige Einfassung des Eilandes. Und so gesehen begegnet der heutige Maler in der gemeinsamen Grundvorstellung seinen künstlerischen Vorfahren: Rhythmus, Struktur, Klang, Farbe – prägende Eigenschaften in den Bildern der Väter, kennzeichnen auch das Oeuvre von Matthias Wegehaupt. Doch worauf er ganz und gar verzichtet, ist das entdeckungswürdige Lokalkolorit. Sein Motiv ist auch ein Synonym für vergleichbare Motive. Die Originalität liegt in der einmaligen Inspiration während des Strandganges und in der zeitaufwendigeren Erarbeitung des Bildes im Atelier …”

 

Menschen und Ufer – Rede zur Ausstellungseröffnung
am 11. August 2012 im Herrenhaus Libnow



Sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren, lieber Matthias Wegehaupt,

eine landläufige Sprachblume, bezogen auf den heute zu würdigenden Protagonisten könnte lauten: „Der geborene Maler.“ Oh je!“, wird wohl das bedenkende, abwägende Gemüt des unverkennbar geprägten Norddeutschen abwiegeln, „wenn’s nur so leicht wäre.“

Und ob solches entschiedene Staunen von unsresgleichen sein tatsächliches künstlerisches Potential zunächst nur auf das des bildenden Künstlers beziehen mag, liegt gewiss am verbreiteten, bequemen Schubkastendenken. Aber es genügt vielleicht schon der knappe Verweis auf die literarische Option, mit der er jüngst von sich reden macht, nachzulesen unter den Titeln seiner Autorenschaft: Matthias Wegehaupt „Die Insel“ und Matthias Wegehaupt „Schwarzes Schilf“.

Das Schöne an dem erstaunlichen Volumen dieser Prosa ist: Sie bedient keine Erwartungen von Dutzendware banal geschwätziger, memorialer Selbsterhöhung aus dem sogenannten „Prominenten-Käfig“.

Vielmehr sind auch sie wundersame Erfindungen, angeregt und ausgelöst durch das Wurzelgeflecht der eigenen lebendigen Erfahrungen, widerstreitend ereignet und erinnert großenteils unweit von hier.

Sowieso speist sich seine Gestaltungskraft aus einer sich gegenseitig anregenden Wechselwirkung: dem viel- und weitschichtigen Denken in beredsam 

literarischen, in musikalisch klanglichen und abstrakt bildnerischen Formstrukturen. Gleichwohl als autonome Kontrapunkte zum malerischen und zeichnerischen Schaffen, in das uns die freundlichen Gastgeber dieses Hauses und natürlich der Maler doch reichliche Einsichten ermöglichen – völlig aus dem Strom seines geistigen und handwerklichen Instrumentariums, aus dem Dialog seiner Mittel, von Formeindrücken gelenkt aber nicht von lediglich vorgefundener Realität oder zufällig gegebenen Umständen. Zugleich jedoch sind seine Beobachtungen scharfsinnig und seine stilistischen Deutungen prägnant: Menschen bleiben Menschen, Schilf bleibt Schilf, Steilküsten bleiben Steilküsten und seine gedehnten Rund-, Weit- und Überblicke gleichen denen der Götter. Hölderlins arkadische Worte kommen mir in den Sinn: „An das göttliche glauben die allein, die es selber sind.“

Na ja, der Maler ist und bleibt der Schöpfer seiner Bilder. Unwiderruflich! Und wir alle nennen uns manchmal Geschöpfe. Bedeutungsverwandtschaften? Sinnbilder? Sinnestäuschungen? Widersinnigkeiten?

Jeder ernsthaft arbeitende Künstler beschäftigt sich im Grunde damit, seinen Anfang, seine Quelle, seine Wurzeln zu erkennen. In ihren Werken also erschaffen sich deren Urheber ein weiteres Mal, hin zum zweiten, dem innigeren Ich und fern vom selbstsüchtigen Ich-Bezug. Merkmale und Orientierung auch zum Eigentlichen, zum Faktischen, zum Dauernden vielleicht, zum fortlebenden Dasein.

War das eine die sich natürlich fortpflanzende Entbindung in die Welt so ist das andere die bewusste Verbindung zum Leben, zur Ankunft in der Wirklichkeit folglich. Und üblicherweise sagen wir oft, wenn wir für etwas gerade stehen wollen: „Ich für meine Person.“ Also ist dieses jeweilige Ich ein Inbegriff, ein Vorbild sozusagen und demnach eine vollkommene Verkörperung. Bedenken wir es so, ist es keinesfalls abwegig, den künstlerischen Schöpfungsakt mit dem der eigenen, nochmaligen Geburt im gleichen Maße zu sehen und zu empfinden, um quasi im Zeitraffer manches vom erworbenen beispiellosen und oft mühsam behüteten Charakter zu erfahren. Freilich bleiben zeitlebens sowohl offene, empfängliche als auch unsichtbare, unterschwellige Diesseitsbetrachtungen unumgänglich und unvermeidlich. Wenigstens ahnen wir, dass unser universales irdisches Reservoir nur durch die Liaison von Erinnerung und Fiktion vor- und darstellbar wird.

Dem Maler Matthias Wegehaupt geht es dabei, praktisch unübersehbar, auch um ein spannungsgeladenes Harmonieverständnis der reinen Form, um die Sprachkraft seiner bildnerischen Mittel, ja, um radikale Vereinfachung. Wer nach einer schlüssigen Deutung des Begriffes Abstraktion sucht, der hat sie in seinen Werkkompositionen geradezu förmlich vor Augen: nicht deklamierend pathetisch sondern als gezügelte, komprimierte und vom Grund her gefestigte Raum- und Flächengefüge. Nicht die zufällig entdeckten Motive sorgen für Aufsehen hingegen ihre einfühlsame Neuordnung als Form- Struktur- und Farbklänge.

„Es ist der selbständige Bildraum, das Lauschen auf das sanfte Kommen des Unbewussten, es weist auf das Verborgene im Menschen hin, auf sein inneres Bildreservoir. Die zeichnende, die malende, die formende Hand ist nichts als seine verlängerte Sensibilität.“ – bekennt Matisse.

„Die Bilder kommen auf einen zu.“, sagt zwanglos der Zeichner, der Graphiker, der Aquarellist, der Maler Matthias Wegehaupt, und schildert, kennzeichnet, fokussiert … seine beinahe alltäglichen, ritualisierten Rundgänge: vom Haus, durch den Küstenwald, zum Steilufer, zum Strand und retour.

Ich verstehe ihn so: Wer nicht die Unschuld, das Unglaubliche, das Unberechenbare, das Ungewisse, ja das Unergründliche und Undurchschaubare wortwörtlich dingfest machen kann, verfügt kaum über eine vorzeigbare künstlerische Wirkung. Aber schon in der Flüchtigkeit des glücklichen Augenblicks nistet sich auch bei dem Usedomer Maler ein reinigender Grundsatz des eigenen Willens ein, nämlich jegliches Nachahmen rigoros zu unterdrücken. Eben weil er der alleinige Regent seiner aufrichtigen und unabhängigen, folglich sowohl angeborenen als auch erstrebten künstlerischen Merk- und Handlungsfähigkeit ist.

Wir können uns also einen permanenten Transfer zwischen dem äußeren Ansturm der natürlichen und menschlichen Resonanzen, die ja ihre lebendige Autorität eindrücklich kundtun, und dem merkwürdig zurückgeworfenen seelischen Echo als Ex- und Impression, als Pulsschlag seiner Innenwelt vorstellen. Er schaut, er prüft, er erkennt und – er arbeitet. Das sind die eher profanen Wegzeichen der Renaissance des Wegehaupt’schen Daseins, gleichsam als sein schattiges aber auch sein farbiges Ich – nomen est omen – Wegehaupt!

„Es gibt ein zweifach Schweigen – Küste und Meer – Körper und Seele …“, schreibt der Dichter Edgar Allan Poe im „Sonett – Schweigen“ und berührt mit solchem poetischen Gedanken ziemlich nahe die Essenz künstlerischer Durchdringung im Werk von Matthias Wegehaupt.