Christoph Tannert
Rede zur Ausstellungseröffnung
Matthias und Herbert Wegehaupt: „Vater und Sohn im Gespräch“ 
Refugium Zinnowitz, 09.09.2017



Der Titel der Ausstellung klingt ein wenig putzig, ist der Sohn Matthias Wegehaupt doch mittlerweile selbst in die Jahre gekommen.
Der Vater hatte bedauerlicherweise nicht die Chance, so alt zu werden wie der Sohn. Der Maler, Holzschneider und Kunsterzieher starb 1959 mit 54 Jahren in Greifswald.
Über den frühen Entschluss des Sohnes, Maler zu werden, hat er sich sehr gefreut.
Wie sich im Rückblick herausstellt, sind sich Vater und Sohn einig in der Position, dass die Welt nicht nur als ästhetisches Phänomen gerechtfertigt ist.
Deshalb gibt es eine Grundorientierung, die gleichermaßen auf das Universelle wie auf das Menschenbild gerichtet ist.
Insofern mischen sich gegenständliche und abstrahierende Aspekte im Werk beider Künstler. 
Beide gehen von der Notwendigkeit der Formung aus, wobei der Anteil der Abstraktion, wie wir sehen, mal in den Hintergrund treten, zu anderen Zeiten deutlicher identifizierbar ist.
Um welche Art von Realität es sich zu welcher Zeit handelt, was Tagesbeschreibungen und was Zukunftsentwürfe, Projektionen, autonome ästhetische Entwürfe sind – das mischt sich vortrefflich im Werk vom Vater wie vom Sohn.
Wir sehen von heute aus die Werke beider Künstler im Dialog, in der Übereinstimmung des Ideals, dass, wenn schon alles vergänglich ist, zumindest die Hoffnung trägt, irgendwann noch das entscheidende Bild zu malen, so als suchten sie nach dem Schlussstein im Gewölbe.
Wegehaupt Matthias und Herbert empfinden sich hineinverwoben in die Geschichte als geschichtliche Existenz und zugleich zur Formung aufgerufen, um ihrem Sein und ihrem Werk einen Sinn zu geben.
Dabei geht es nicht um das Dekorieren von Äußerlichkeiten, sondern um den magischen Ausdruck, der den Dingen und Beziehungen innewohnt und der Formulierung bedarf.
Wenn die beiden Künstler Konkretes ins Auge fassen, sie dem größeren Zusammenhang entheben und genaue Aussagen über ihre sinnliche Qualität machen, gelingen ihnen exemplarische Aussagen. 
Als oberstes Gesetz gilt: die Form ist das Erste und Letzte, gerade, wenn eine innere Entscheidung zur Debatte steht, die geknüpft ist an die Begründung eines letzten Sinns.

Wie dunkel gefärbt und schwer sind oft die Fragen, wenn sie von einem „Warum?“ eingeleitet werden.
Zwar gibt es darunter eine Form bei beiden Künstlern, der etwas Elegisches eingeschrieben ist, die aber, wenn man sie ich rechten Moment anschaut, auch tröstlich klingt, weil sich die Besorgnis über kurz oder lang als grundlos erweist – und insbesondere in dieser Situation jubiliert die Farbe bei Matthias Wegehaupt. Und die Antwort des Fragenden offenbart zugleich seine eigne Lebensdeutung.

Matthias und Herbert Wegehaupts Werke sind Ausdruck innerer Bewegungen, Unruhe und Erwartung. In ihnen ringen die Künstler um die unmittelbare Bezeichnung eines Hier und Jetzt.
Ihr Streben ist gerichtet auf eigene Positionsbestimmung und Vergewisserung. Im besten Fall bieten ihre Werke Raum für Essentielles.

Wer das Generationsschicksal von Vater und Sohn Wegehaupt bedenkt weiß, dass uns ein ,Zeitalter der Angst‘ zugemessen ist – in Gestalt der beiden Weltkriege und des Kalten Kriegs unter Androhung weiterer Atombomben-, Wasserstoffbomben-, Neutronenbomben-Abwürfe, Pershings und SS20 danach. Und selbst mit dem Abzug der Roten Armee aus dem Osten Deutschlands hörte der Irrsinn nicht auf.
Wegehaupt der Ältere hat Krieg und Gefangenschaft am eigenen Leib erleben müssen. Als die Waffen ruhten, war der Schützengraben für den Jüngeren ein Kinderspielplatz.
Und wir?
Niemand sollte sich sicher fühlen und glauben, er wäre nicht betroffen, denn brennende Dörfer, zertrümmerte Städte, geschändete Heiligtümer und verödete Landschaften sind auch Teil unserer Alltagserfahrung.

Das wohl bedrückendste und zugleich aktuellste Bild ist hier „Gefangene um Wasser bittend“ von Herbert Wegehaupt.
Sein Sohn schreibt darüber: Es ist ein „beinahe einfarbiges Bild. Englischrot die Untermalung, darauf die Vorzeichnung. … Man erkennt nicht, ob es deutsche oder russische Gefangene sind. Es sind Verzweifelte, die am Verdursten sind. Auf dem Waggon steht Deutsche Reichsbahn.“

Wegen des frühen Todes des Künstlers im Jahr 1959 ist es unvollendet geblieben.
Sein ernster Klang, die Verbindung von faktischer Geschichte mit der Wahrnehmung geschichtlicher Mitverantwortung lässt einen nicht kalt. Solch ein Bild  macht die ganze Hoffnungslosigkeit des Geistes, die unendliche Melancholie des Menschen fühlbar.

Gegenüber hängt von Matthias Wegehaupt das Bild „Alter Schützengraben“ (2012) aus der „Wald“-Serie. Als Kind spielte der Sohn dort, die Erzählungen des Vaters im Ohr.
Es ist kein Kriegsbild und kein Landschaftsbild. Vielmehr der bildgewordene Ausdruck einer Form fordernden Gewalt des Nichts und der Entleerung, der zerbrochenen Ideale und der inneren Aushöhlung. Ein außergewöhnliches Stille-Bild, farbsatt und berührend. Ein sprechendes Zeichen des Herzverstands.
Beide Bilder zusammen ergeben ein spannendes Schicksalsverhältnis des nach Antwort und nach Wahrhaftigkeit suchenden Menschen.

Die gern bearbeiteten Motive von Strand, Fischerbooten und Meer, Verbindungen schaffend zwischen innerer Stille und Meeresrauschen, mögen grundsätzlich auf eine Übereinstimmung zwischen Vater und Sohn verweisen, aber formal gesehen liegen doch auch Unterschiede zwischen beiden.
Was das Dialogische überhaupt erst sichtbar macht, ist nicht recht benennbar: Es vollzieht sich vielleicht an jenen Schnittstellen, an denen sich das Alltägliche unmerklich ins Poetische verschiebt.
Sehr treffend hat eine Ausstellung der Stiftung Pommersches Landesmuseum 2005 in Greifswald anlässlich von Herbert Wegehaupts 100. Geburtstag des Künstlers Credo umschrieben mit den Worten: Schauend lauschen.

Im Gegensatz dazu stehen die Bilder von Matthias Wegehaupt, in denen man die Unbedingtheit des ästhetischen Ich spürt, sich selbst zur Sprache zu bringen, einen kräftigen eigenen Sound entstehen zu lassen in konzentrierten, komprimierten Formkonstellationen.
Infolgedessen sehe ich seine Fischerboote aus mehreren Blickwinkeln.
Natürlich ist da zuerst das maritime Thema. Aber genauso gut können die Zyklen „Fährmann I und II“ von 2005 allgemeine Fährmannsdarstellung sein – in ihrem Themenkreis Einsamkeit, verfliegende Zeit, eine Urangst vor dem Tod und eine immer weiter um sich greifende Sprachlosigkeit.
Aber wir können diese Bilder auch auf einen Wendepunkt eines jeden Lebens beziehen. Und nicht zuletzt auf das aktuelle Drama der nach Europa drängenden Flüchtlinge.
Schauen Sie nur auf den zerspellten Bootskörper in „Das Boot erreicht das Ufer von 1997 oder auf “Nach der Flut“ (1996), wo sich die Frage stellt: Gerettet, aber wozu? Und schauen Sie auf die feinfühlig empfundenen „Gläserne Häuser“ von 1995, den Gegensatz von Behaust-Sein und Vereinzelung veranschaulichend.
Matthias Wegehaupts Bilder sind uneingeschränkt heutig und gültig.

Die Werke von Vater und Sohn umgeben verschiedene Klimata.
Der Vater bezeichnet und beschreibt Wirklichkeiten. Der Sohn geht spielerisch zu Werke, er experimentiert auf diversen Ebenen – bis zur Blickdichte.

Vater und Sohn sind sich allerdings sehr nah in ihrer Suche nach dem, was über das Spontane und Gegenwärtige hinausweist, nach dem Unbezweifelbaren. Das verbindet sie.
Am eindringlichsten beweist sich das in der Intimität der beiden Porträts von Monika, entstanden 1956 als Vater und Sohn gemeinsam im kleinen Atelier in Greifswald saßen und Zeichnen und Sein eins wurden. Matthias Wegehaupt notiert: „Die Kreidegründe gleichen sich, Graupappe grundiert nach uraltem Rezept. Gleiche Maße, gleiche Ölfarben, die gleichen Tage.“
Vor ihnen Monika, die ältere Schwester von Matthias, einmal frontal und einmal im Profil – ästhetisch gebannt im Gleichklang künstlerischen Verständnisses.

Zu dieser hervorragend zusammengestellten Ausstellung darf ich herzlich gratulieren.